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01.04.2019
MEVLANA Celalettin Rumi Das Mesnevi "Die Schüler widersprechen"
Die Schüler widersprechen
Da sprachen sie alle: «Das ist nicht Unglaube, o Wesir! Unsere Worte sind nicht die Worte von Fremden! Die Tränen unserer Augen fließen aus Sehnsucht nach dir. Seufzer um Seufzer entsteigt den Tiefen unserer Seelen.
Ein Kind liegt nicht im Streit mit seiner Amme; es weint, obwohl es Gut von Schlecht nicht unterscheiden kann.
Wir wurden zu Harfen durch dich. Die Klage kommt nicht von uns: Du bist es, der uns klagen läßt.
Wir sind Flöten: Die Melodie in uns kommt von dir. Wir sind wie Berge: Unser Echo kommt von dir. Wir sind wie Schachfiguren: Wir siegen und werden besiegt.
Unser Sieg, unsere Niederlage kommt von dir, o du mit den schönen Eigenschaften!
Was sind wir wert, oh Seele unserer Seelen? Wie könnten wir neben dir bestehen?
Wir sind leer, wir existieren nicht: Du bist das absolute Sein, das das Vergängliche ins Leben ruft.
Wir sind Löwen - jedoch Löwen auf Fahnen. Ihr Vorwärtsstreben und ihr Kampf entspringen, von Hauch zu Hauch, dem Wind.
Man kann ihre Bewegungen sehen, nicht aber den Wind. Möge das Unsichtbare auf ewig bestehen! Unser Wind und unser Sein sind dein Geschenk. Unser Leben ist dein Entschluß.
Du hast dem Nichtsein das Sein gezeigt, du hast das Nichtsein in dich verliebt gemacht. Nimm den Geschmack deiner Güte nicht wieder fort von uns! Nimm von uns nicht das Süße, den Wein und den Kelch!
Und wenn du sie wieder an dich nimmst, wer wäre noch da, um danach zu fragen? Wie könnte das Bild mit dem Maler streiten?
Sieh nicht auf uns und unser Tun! Betrachte deine eigene Güte und Großmut! Wir waren nicht und hatten kein Begehren. Doch in deiner Güte erhörtest du unser unausgesprochenes Gebet.»
Vor dem Maler und dem Pinsel ist das Bild ohne Macht, wie das Kind im Mutterschoß: Es hängt allein von ihm ab und von seinen Wünschen.
Angesichts der Allmacht Gottes sind die Geschöpfe so machtlos wie vor der Nadel die Stickerei:
Einmal stickt Er ein Bild des Teufels, ein andermal das des Menschen, Er zeichnet Freude und Schmerz.
Die Stickerei hat keine Hand zur Abwehr, und auch keine Zunge, mit der sie sich äußert zu Gewinn und Verlust.
Lies im Koran die Erklärung dieses Verses. Gott sprach: «Als du warfst, da warfst nicht du.» Wenn unser Pfeil vom Bogen schnellt, so ist dies nicht unsere Tat:
Wir sind der Bogen. Der Schütze ist Gott. Dies ist nicht Zwang: Es ist der Allbezwingende. In Demut gedenken wir des Allmächtigen.
Unser Weinen, unsre Klagen sind Zeichen unserer Machtlosigkeit. Unsere Scham ist Zeichen unseres freien Willens.
Hätten wir keinen freien Willen, weshalb dann die Scham? Weshalb diese Sorge, diese Schuld und Verlegenheit?
Warum schelten Lehrer ihre Schüler? Weshalb kreisen die Gedanken um Trugbild und Wahn? Und wenn du sagst, es wüßte einer nichts vom Zwang in seiner Handlung und von Gottes Mond, der in Seiner Wolke verborgen ist,
So habe ich darauf eine schöne Antwort. Höre gut zu, und du wirst deinen Unglauben lassen und finden zur wahren Religion.
Demut und Reue erscheinen zur Zeit der Krankheit. Die Zeit der Krankheit ist wache Zeit. Wenn du krank bist, bittest du Gott um Vergebung deiner Schuld.
Das Häßliche deiner Sünde zeigt sich dir und du beschließt, dich dem rechten Pfad wieder zuzuwenden.
Und du schwörst und versprichst, daß der Pfad deiner Wahl nun nichts als Gehorsam sein werde.
Dies zeigt ganz klar, daß die Krankheit Bewußtsein und Wachheit verleiht.
Merk dir diesen Grundsatz, du, der du das Grundsätzliche suchst: Jeder, der Schmerzen hat, kennt den Geschmack.
Wer wacher ist, erleidet größere Schmerzen. Wer die Wahrheit klarer sieht, dessen Gesicht ist besonders blaß.
Wenn du dir seines Zwanges bewußt bist, wo ist dann deine Demut? Wo spürst du die Ketten des Allbezwingers?
Wie kann einer fröhlich sein, der in Ketten liegt? Wie könnte der Gefangene so tun, als sei er frei?
Und wenn du bedenkst, daß dein Fuß gebunden ist und daß des Königs Wächter dich bewachen,
Dann spiel du nicht den Aufseher über die Schwachen, denn dies ist nicht die Arbeit, die einem Schwachen geziemt.
Wenn du Seinen Zwang nicht spürst, sag nicht, du seist gezwungen. Doch wenn du ihn verspürst: Wo zeigt sich dieses Gefühl? In jeder Handlung, die du liebst, erkennst du klar deine eigene Kraft.
Doch in jeder Tat, die du nicht willst und nicht liebst, fühlst du den Zwang und sprichst: Das kommt von Gott.
Die Propheten werden zu Gezwungenen in den Angelegenheiten der Welt, Ungläubige werden gezwungen zu den Handlungen der Religion.
Die Propheten sind Freiwillige in den Dingen des Geistes, die Unwissenden tun aus freiem Willen weltliche Dinge.
Denn jeder Vogel fliegt zu seiner eignen Schar, sein Herz voran und dahinter der Körper. Die Ungläubigen sind Bewohner der Sijjin und lieben deshalb das Gefängnis der Welt.
Die Propheten sind Bewohner der Illiyyin und streben deshalb nach ihnen mit Herz und Seele. Dieser Diskurs kommt zu keinem Schluß. Aber wir sollten die Geschichte zu Ende erzählen.
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