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11.09.2017

DÎVÎN-Î KEBIR Band 23 Die unbotmässigen Gedichte von Rumi über Liebe‚ Ketzerei und Rausch Mevlâna Celâleddin Rumi Übertragung ins Deutsche von Peter Finckh

LIEDER AN SHAMS/ LIEDER AN GOTT

Was für eine Geschichte! Schliesslich triffst du jemanden, in dessen Gengenwart du zu Gott getragen wirst. Sofort geht ihr miteinander los, Hand in Hand, und sperrt euch von dieser Welt hinter geschlossenen Türen dieser Klause aus. Über die folgenden Wochen und Monate löst ihr euch ineinander auf, einfach durch das Sitzen in der gegenseitigen Gegenwart, einander verzückt anschauend. (Wenn Gott sich vor dich setzt, wohin sonst würdest du schauen?) Wenn du aus diesem Rückzug auftauchst, bist du vollkommen verschieden von der Person, die vor vielen Monaten hier eingetreten ist.

Das einzige Vernünftige zu tun nach einem solchen Ereignis scheint zu sein, bis in alle Zeiten glücklich zu leben. Aber so geschah es nicht. Rumi ging Vielleicht mit Schams in den Rückzug als hingebungsvoller Schäfer, der nach seiner ergebenen Herde von Anhängern schaute, aber er tauchte wieder auf als hungriger Wolf, der die Leute ermahnte, ihre Heucheleien aufzugeben, ihre steife Zugehörigkeit zu den äusseren Formen der Religion zu überschreiten und stattdessen in eine direkte Gotteserfahrung einzutreten.

Rumi wollte, dass die Menschen von Konya Schams erkennen, so, wie er ihn erlebt und gesehen hatte, als einen direkter Kanal zum Göttlichen. Für Rumi war Schams ein Trichter, der zu Gott führte Der Hitze von Schams’ Gegenwart ausgesetzt, schmolz Rumi einfach dahin, und das Gemisch der beiden Seelen führte beide in das Bewusstsein der Einheit. Dies ist, worum es bei wahrer Religion geht, und Rumi erwartete von seinen früheren Anhängern, dass sie mit ihm in das Göttliche Feuer springen würden. Ihre Reaktion darauf war stattdessen vorwiegend Kritik und Empörung über die wahrgenommene Ketzerei von zwei Seelen, die in Gott zusammenkamen. Für den orthodoxen Geist ist es annehmbar, dass der Gründer einer Religion mit den Kräften von Gott direkten Kontakt hat, aber für jeden anderen ist dies ausgeschlossen. Die Ablehnung der Freundschaft zwischen Rumi und Schams wurde so gross, dass Schams keine andere Wahl hatte, als Rumi zu verlassen, und Rumi fiel in tiefste Trauer.

Er begann, Schams Briefe zu schreiben, in denen er ihn anbettelte, zurückzukommen, und er sandte sie in verschiedene Gebiete der islamischen Welt, in der Hoffnung, dass einer von ihnen Vielleicht den Angeschriebenen erreichen würde. Mehr als ein Jahr verstrich, bevor er irgendetwas hörte. Und dann kehrte Schams zurück.

Die beiden Freunde tauchten sofort wieder ein in ihren Rückzug, und eine weitere Runde von Auslöschung und Vereinigung der Seelen begann. Die Reaktion der Stadtbewohner war die gleiche wie zuvor. Dieses Mal, als Schams abreiste, wurde er wie ein gehasstes Raubtier überfallen und umgebracht.

Es wird angenommen, dass der Divan-I Kebir alle spontanen Äusserungen enthält, die Rumi je über die Wechselwirkung mit Schams machte. Einige der Gedichte in der folgenden Auswahl lesen sich wie offene Briefe an Schams. Andere lesen sich wie geschichtliche Nacherzählungen ihrer gemeinsamen Zeit, und einige von ihnen preisen Schams als Gottes Vertreter auf Erden, während andere ängstlich über die Grausamkeit seiner Hänseleien und die Launenhaftigkeit seiner Abreisen schimpfen.

Richtet sich Rumi in diesen Gedichten nur an Schams? Oder wendet er sich direkt an Gott? Die Grenzen verschwimmen.



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