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29.05.2017
Aus den Mekkanischen Eröffnungen
Das umfangreichste Werk Ibn 'Arabrs mit dem Titel «Die mekkanischen Eröffnungen»' besteht aus 560 Kapiteln und würde in der neuen, kritischen Edition von Osman Yahya einen voraussichtlichen Umfang von I7000 Seiten annehmen. Das Werk ist «eine riesige Enzyklopädie der islamischen Wissenschaften innerhalb des Kontextes von tauhid, dem Bekenntnis der Einheit Gottes, das den Kern des Islam bildet». 2 Die meisten der Themen, die in Ibn 'Ara bis anderen Werken behandelt werden, kommen auch hier zur Sprache." Trotz des Umfangs dieser Schrift und der großen Anzahl seiner anderen Werke macht der Autor jedoch klar, daß er noch über viele zusätzliche Dinge hätte sprechen können. Ein Teil der Futubat enthält zu deu verschiedenen (insgesamt 99) Kapiteln jeweils eine Liste verwandter Themen, die darüber hinaus hätten diskutiert werden können. Mehr als 400 Seiten würden diese Listen in der neuen Edition ergeben."
Das Werk beruht nach Ibn 'Arabis eigenen Worten nicht auf diskursivem Denken oder rationalen Ergründungen. Es ist das Ergebnis von «Eröffnungen» oder - noch wörtlicher - «Öffnungen». Dabei handelt es sich um «das Erlangen direkten Wissens von Gott und den unsichtbaren Welten ohne die Vermittlung von Studium, Lehrer oder
Verstandeskraft. Gott <öffnet> das Herz für das Einfließen des Wissens. Das Wort <Öffnung> legt nahe, daß diese Art von Wissen plötzlich zum Aspiranten kommt, nachdem er geduldig an der Tür gewartet hat.»> Der Weg zu dieser Tür führt über die Befolgung der Regeln des religiösen Gesetzes, der san'a, nicht nur in der äußeren, sondern auch in der inneren Dimension, der tariqa, dem geistigen Weg der Su-
fis. Diese Ausrichtung auf den inneren Sinn kann nur mit Hilfe eines geistigen Meisters, der den Weg selber gegangen ist, auf richtige Weise erfolgen. Auf welche Art und in welchem Ausmaß eine «Öffnung» empfangen werden kann, hängt von der jeweiligen menschlichen Natur ab. Wichtig ist, hierbei echte und nicht echte Erfahrungen voneinander zu unterscheiden, so daß die göttliche Eröffnung nicht mit an-
deren über-natürlichen Erscheinungen verwechselt wird.
Der Inhalt der Futûhat beruht auf direkten Erkenntnisvermittlungen, die zum größten Teil in Mekka während der Pilgerfahrt im Jahre 1202 in Worte umgesetzt wurden. In seiner Einleitung sagt Ibn 'Arabi:
«Das meiste von dem, was ich in dieser Abhandlung niedergelegt habe, hat Gott für mich eröffnet beim Umkreisen Seines edlen Hauses" oder während ich aufmerksam auf Ihn wartend in Seinem edlen und erhabenen Heiligtum saß. Ibn 'Arabi begann im darauffolgen den Jahr mit der Niederschrift, und es dauerte 21 Jahre, bis die erste Ausgabe fertiggestellt war. Diese erste Version hinterließ er seinem ältesten Sohn. Später wurde der Text von ihm selbst noch einmal überprüft und überarbeitet. Diese zweite Fassung vertraute er einem seiner besten Schüler, seinem Stiefsohn Sadr ad-Din al-Qûnawi, an. Geschrieben ist das Werk für seinen Lehrer und Gefährten auf dem «Wege», al-Mahdawi, sowie seinen Schüler und engen Freund Badr al-Habasi, der ihn auf allen seinen Reisen begleitete und insgesamt 23 Jahre seines Lebens mit ihm teilte." Aber auch « für jeden lauteren Gefährten, jeden verwirklichenden Sufr» wurde es verfaßt «als Amulett gegen die Behinderung [des Wissens] durch Unwissenheit». Daß den Werken Ibn 'Ara bis bestimmte Strukturen zugrundeliegen, die ohne eine gründliche Kenntnis des Korans nicht zu erkennen sind, ist von Michel Chodkiewicz herausgestellt worden. Eine dieser Strukturen soll hier anhand seiner ausführlichen Untersuchungen aufgezeigt werden. Für den vierten der sechs großen Abschnitte der Futub ät ergibt sich folgendes Bild: Da die Offenbarung den Weg von Gott hinunter zum Menschen gemacht hat, muß nach Ibn 'Arabi der Weg vom Menschen zu Gott in umgekehrter Richtung, von unten nach oben, stattfinden. Das bedeutet einen Aufstieg vom letzten Wort des Korans, an-näs, «Die Menschen (oder: die Menschheit)», welches gleichzeitig der Name der letzten Sure, ist, bis hin zur ersten Sure, «Die Öffnende», auch Mutter des Buches genannt, wo dem Menschen die endgültige Erleuchtung gegeben wird. Es ist also «eine Frage des Wiederaufsteigens vom äußersten Punkt der Manifestation des Universums (welcher symbolisiert wird durch das letzte Wort des Korans, an-näs [die Menschheit]) zu seinem Göttlichen Prinzip (welches symbolisiert wird durch die erste Sure, Umm al-kitâb, Mutter des Buches}.» Am Beispiel eines Abschnitts des vierten großen Teiles der Futuhat wird die entsprechende Struktur von Chodkiewicz deutlich dargestellt. Dieser Teil über die verschiedenen Absteigeorte, Halteplätze auf dem geistigen Wege (Fasl al-manâzili), hat II4 Abschnitte, den 114 Suren des Korans entsprechend. IIDie Abschnitte beziehen sich deutlich auf die Suren in umgekehrter Reihenfolge, was sowohl den Inhalt als auch die Struktur betrifft. Unter diesem Gesichtspunkt wird die anscheinend unlogische, willkürliche Anordnung der Aussagen in diesem rätselhaften, auf den ersten Blick unverständlichen Text dem Verständnis desjenigen erschlossen, der den Koran kennt und als Subtext erkennt. Eines der schlagendsten von Chodkiewicz beigebrachten Beispiele in diesem Abschnitt ist das Kapitel, das sich auf die 111. Sure, «Der Strick» (auch «Verderben!» genannt), bezieht und den «Absteigeort des Verderbens» behandelt. Herr dieses Absteigeortes ist der personifizierte Erste Intellekt; der Ibn 'Arabi an die Hand nimmt und ihn durch fünf Zimmer führt, deren jedes eine bestimmte Anzahl von Truhen hat. Die Zahl der Zimmer entspricht der Anzahl der Verse der I I I. Sure, und die der Truhen der Anzahl der Wörter des jeweiligen Verses. Die Truhen haben Schlösser, die den jeweiligen Buchstaben der Wörter entsprechen. Jedes Schloß hat Schlüssel, welche für die zu den Buchstaben gehörigen Diakritika und Vokalzeichen stehen. Jeder Schlüssel hat eine bestimmte Anzahl von Umdrehungen, die dem numerischen Wert der verschiedenen Buchstaben entspricht. Die Beschreibung des «Absteigeortes des Verderbens» ist dann so gestaltet, daß sich die entsprechenden Beziehungen ohne viel Mühe feststellen lassen. Daneben sind andere Strukturtypen auszumachen, aus denen man erkennen kann, daß die Futurat - wie auch die anderen Werke Ibn 'Ara bis - sowohl strukturell als auch inhaltlich auf engste Weise mit dem Koran verbunden sind und auch die Werke untereinander in Beziehung stehen.
Die hier vorgelegte Auswahl kann nur einen Hauch der vom Größten Meister beschriebenen Erleuchtungen vermitteln und ist notwendigerweise aus dem großen Zusammenhang herausgelöst. Sie beginnt mit einem Text über die Erschaffung des Universums und endet mit
einer Darstellung der letzten Dinge, wie sie sich aufgrund der koranischen Aussagen und der Prophetischen Überlieferungen am Ende der Welt ereignen werden. Einige der anderen Themen, die für die Lehre Ibn 'Arabis von großer Wichtigkeit sind, sollen eine Art Verbindung zwischen beiden herstellen und einen - wenn auch lückenhaften - Eindruck geben von der Art der Entwicklung, die zwischen dem Anfang
und dem Ende stattfindet, und von der Notwendigkeit, sie zu verstehen und sich entsprechend zu verhalten.
Der erste Text ist eine außergewöhnliche Art von mythologischer Schöpfungsgeschichte, die in ihrer Gesamtheit von William Chittick ins Englische übersetzt worden ist!" und von ihm als besonders wichtiger Teil der Lehre Ibn 'Ara brs erwähnt wird. Auch einige der übrigen
Texte sind in Teilen schon in andere Sprachen übersetzt worden, werden aber hier noch einmal dargeboten, weil sie mehrere Hauptthemen auf eindrückliche Weise ansprechen.
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