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25.04.2017
Ruh al-quds-Urwolke und Welt- Aus den Mekkanischen Eröffnungen
Aus den Mekkanischen Eröffnungen
Die Erschaffung des Universums
VORBEMERKUNGEN
Die Namen Gottes, wie «der Wahre», «der Barmherzige», «der Wissende», stellen einen wesentlichen Bestandteil des koranischen Textes
dar und sind deshalb von äußerster Wichtigkeit für das Verständnis
des göttlichen Wesens. Im theologischen Denken sowie in vielen anderen Bereichen spielen diese Namen eine zentrale Rolle. Sie sind von
grundlegender Bedeutung für die Lehre Ibn 'Arabrs und werden unter
mehreren Aspekten gesehen: Zunächst können sie in verschiedene
Kategorien eingeteilt werden, nämlich als Bezeichnungen für die Essenz Gottes, die nicht erfaßbar ist, und für Seine Eigenschaften und Handlungen. Die für den Menschen nicht erfaßbare göttliche Essenz wird durch einen Namen insofern bezeichnet, als er Aussagen über eine bestimmte Eigenschaft macht. Barmherzigkeit zum Beispiel gehört zur Essenz Gottes, drückt aber nur einen der unendlich vielen Aspekte des göttlichen Wesens aus.
Die Namen für Gottes Eigenschaften und Handlungen sind für Ibn
'Arabi Beziehungen, die notwendigerweise erkannt werden müssen,
wenn - im wahrsten Sinne des Wortes - von Gott und der Welt die Re-
de ist. Damit ist auch die Frage nach der Vielheit der Namen im Ver-
hältnis zur Einheit Gottes beantwortet. Die Namen sind nämlich nicht
als Dinge zu verstehen, die Gott zur Seite gestellt werden, sondern bil-
den sozusagen eine Brücke oder eine Zwischenwelt (barzahi" zwi-
schen Gott und Seiner Schöpfung, und durch die Vielfalt der Namen
wird die Vielfalt der Beziehungen widergespiegelt. Natürlich sind -
wie Ibn 'Arabt betont - die Namen, die benutzt werden, nicht eigent-
lich die Namen selbst, sondern «die Namen der göttlichen Namen»,
die von Gott, der sich selbst als «der Sprechende» bezeichnet, den
Menschen geoffenbart worden sind."?
Als Brücke zwischen der durch den Verstand nicht erfaßbaren göttlichen Transzendenz und der Welt der Erscheinungsformen vermitteln die Namen Kenntnis über die jeweilige Natur der verschiedenen in die Existenz gebrachten Seinsweisen. Da nun die existierenden Dinge Formen von Sein/wugud sind und die Essenz Gottes, die durch die vielen Namen benannt wird, Sein ist, hat jedes existierende Ding Anteil an den göttlichen Eigenschaften. Das heißt aber nicht, daß bei allen Dingen dieser Anteil in gleichem Maße vorhanden ist oder sich alle Attribute zusammen in einem Ding manifestieren. Vielmehr muß man sich
den Kosmos in einer in Grade geordneten Struktur verschiedener Formen von Sein vorstellen, in der die Dinge nach dem Grad ihrer Wiedergabe der göttlichen Eigenschaften angeordnet sind - je nach der Aufnahmebereitschaft der verschiedenen Formen: Ein Stein besitzt Sein in geringerem Maße als eine Pflanze, und diese wiederum hat nicht das Maß an Sein, das ein Tier aufnehmen kann. Der Mensch, den Gott, wie es im Koran heißt, die Namen aller Dinge gelehrt hat und, wie es in einer Überlieferung heißt, nach Seiner Form geschaffen hat, hat die Möglichkeit, die göttlichen Namen in ihrer Gesamtheit zu verwirklichen. Für Ibn 'Ara bI geht das unter anderem daraus hervor, daß
der in dieser Überlieferung genannte Name Gottes «Allah» ist, der allumfassende Name, in dem alle anderen Namen enthalten sind. Es versteht sich von selbst, daß die Menschen nicht alle in gleichem Maße diese ihnen gegebenen Möglichkeiten verwirklichen. Nur der Vollkommene Mensch (al-insan-al-kamil), der nach und nach die Wesenszüge Gottes in sich verwirklicht hat, stellt Sein in seiner vollsten Form dar. Er ist der Vertreter Gottes und kann das geistige Wohl der Menschen entscheidend beeinflussen. Solche Menschen sind Heilige (arab.«Freunde Gottes») und in außergewöhnlichen Fällen Propheten. Das gesamte Universum ist also die Manifestation der göttlichen Namen, die ihrerseits in einer bestimmten Ordnung zueinander stehen, wie es das Wesen des Seins verlangt: Wissen setzt Leben voraus, Wollen ist abhängig von Wissen, und Vermögen setzt Wollen voraus.
In dem hier vorgelegten Text, einer Art mythischer Schöpfungsgeschichte, in der die Namen Gottes in personifizierter Form auftreten, stellt Ibn 'Arabt das Sich-Manifestieren der Namen und damit die Bildung des Universums dar. Dabei ist es für ihn zunächst einmal wichtig, eine Warnung auszusprechen, um jeglichen Gedanken an Polytheismus auszuschließen: «So achte auf das, was du hören wirst, und bilde dir weder Vielheit noch ein ontologisches Zusammenkommen ein!»
Es war, wie die Geschichte zu verstehen gibt, das Ziel der Namen,
ihre jeweiligen Wirkungen durch die Manifestation ihrer bestimmen-
den Merkmale zum Tragen zu bringen. Denn der Name «Erschaffer»
fand nichts zu Erschaffendes, der Name «Verwalter» nichts zu Ver-
waltendes usw. Um das Ziel zu erreichen, müssen sich nun die Namen
zu denjenigen Formen der möglichen Dinge in Beziehung setzen, die
ihre jeweiligen Wesenheiten enthalten können. Die entsprechenden
möglichen Dinge werden dadurch vom Nichtsein ins Sein gebracht,
und das Universum wird geschaffen.
Um die Notwendigkeit einer abgestuften Ordnung zu unterstreichen, wird den Namen in der Ausübung ihrer Wirkungen zunächst freie Wahl gelassen. Das Ergebnis, ein unharmonisches Durcheinander, treibt die ins Sein getretenen möglichen Dinge dazu an, um eine für alle heilsame Ordnung zu bitten, damit sie nicht wieder in den Zustand des Nichtseins geraten. Der Name «Herr» wird dazu bestimmt, das Gleichgewicht in der kosmischen Ordnung herzustellen. Die Auf-
rechterhaltung dieses Gleichgewichts und die damit zusammenhän-
genden, vom «Herrn» aufgestellten Regeln sind das Hauptanliegen
der Geschichte. Wie beim Universum insgesamt, so bedarf es natürlich
auch auf der menschlichen Ebene der heilsamen Ordnung. Durch die
von Gott in die Menschen hineingelegte, angeborene Weisheit können
diese die Erkenntnisse gewinnen, die für die Aufrechterhaltung eines
harmonisch ausgewogenen Daseins unerläßlich sind. Schlüssiges Den-
ken führt die Philosophen unter ihnen schließlich an eine Grenze, die
der Verstand nicht überschreiten kann.!? Sie kommen zu dem Ergeb-
nis, daß es den transzendenten Einen geben muß, auf den die Vielheit,
in der alles auf irgendeine Weise von etwas anderem abhängig ist,
zurückgeht. In dieser Situation erscheint der Prophet, der imstande
ist, den Menschen im allgemeinen und den Philosophen im besonde-
ren durch die ihm gegebene göttliche Offenbarung zu erklären, was
jenseits des Verstandes liegt. Er wird als der wahre Prophet erkannt,
der er ist, und die Einsicht der mit Verstand Begabten, daß der Pro-
phet ihnen überlegen ist und es deswegen notwendig ist, ihm zu fol-
gen, führt zum Heil der Menschen.
Obwohl Ibn 'Arabi in diesem Stück die dem Menschen innewoh-
nende natürliche Weisheit anerkennt, macht er ganz deutlich, daß
durch die Offenbarung eine höhere Weisheit vermittelt wird. Sie gibt
Einsicht in die Welt jenseits des Verstandes, und sie kann die durch
philosophische Erwägungen erfaßbare Unvergleichbarkeit Gottes
durch die Kunde von seiner Ähnlichkeit ergänzen."? Die Kritik an be-
stimmten Denkern seiner Zeit stellt Ibn 'Ara bis Haltung klar heraus.
Dabei unterscheidet er zwischen den eigentlichen Verständigen, die
begreifen, daß der Verstand eine Grenze hat, und denjenigen, die stör-
risch dabei verharren, daß der Verstand die Grenze aller Dinge sei.
Einer der Philosophen aus Ibn 'Arabts Zeit wird als Verständiger her-
vorgehoben: Ibn Rusd (st. 1198), im Westen als Averroes bekannt.
Nach seinen eigenen Aussagen hat Ibn 'Ara bt ihn in jungen Jahren, als
er vielleicht fünfzehn Jahre alt war, kennengelernt.P Im Westen
wurde Averroes verschiedentlich als Skeptiker beschrieben, der die
Gültigkeit der Offenbarungsreligion anzweifelte. Ibn 'Ara bt bezeich-
net ihn «als einen großen Meister des rationalen Disputs, der die
Offenbarung verteidigte». Schon zu Ibn 'Arabis Lebzeiten wurde
Averroes nicht so sehr als Philosoph, sondern in erster Linie als ein
Gelehrter der Schari'a angesehen.?"
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