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18.10.2016
Wer ist in Wirklichkeit dein Gesprächspartner?
Als Hace bezeichnete man früher religiöse Gelehrte. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Arabischen und bezeichnet Personen, die sich für die Bedürfnisse und Belange anderer einsetzen. Es handelt sich hier also um islamische Gelehrte, die sich mit den Problemen und Sorgen anderer auseinander setzen, die sich für deren Bedürfnissen einsetzen und versuchen, ihnen zu helfen.
Dieser mystische Pfad wird als havaceler silsile bezeichnet, weil der Gelehrte Hace Abdülhalik Gücdevani hz. den Titel Hace trug. Den Ursprung hat dieser mystische Pfad von unserem verehrten Propheten (s. a. v), bis heute hat er sich in viele unterschiedliche Zweige aufgeteilt. Die Ära der Hacegan war sehr berühmt, man bezeichnete damals die mystische Lehre dieses Pfads als Tasawwuf der Hacegan. Auch heute noch ist sie unter demselben Namen bekannt. Sie begann im elften Jahrhundert (dies entspricht dem fünften Jahrhundert nach der islamischen Zeitrechnung).
Der Lehrer von Hace Abdülhalik Gücdevani hz. war Yusuf Hamadāni hz., der ebenfalls den Titel Hace trug. Hace Yusuf Hamadāni hz. war ein Turkmene aus der Stadt Hamadān. Seine religiöse Ausbildung begann er bereits im frühen Kindesalter. Er studierte in den derzeitigen Zentren für religiöse Wissenschaften, wie Ägypten, Damaskus und Bagdad. Nachdem er sein Studium erfolgreich absolvierte, kehrte er zurück zu seine Heimat. Hace Yusuf Hamadāni hz. war nicht nur eine bekannte Persönlichkeit in der Disziplin Tasawwuf, er war ebenso ein großer Religionsgelehrte. Er strebte fortwährend nach religiösem Wissen bis sein Herz schließlich Ruhe fand. Er erlangte seinen Seelenfrieden durch den Gelehrten Ebu Ali Farmedi hz.
Hace Yusuf Hamadāni hinterließ vier große Khalifen, von denen zwei besonders wichtig waren: der eine war Hace Abdülhalik Gücdevani hz. und der andere Ahmed Yesevi hz. Letzterer lebte in Turkestan und leistete dort große Dienste an die Gemeinde. Hace Abdülhalik Gücdevani hz. lebte nahe Buhara, an einem größeren Ort namens Gücdevan, in dem er sich für das seelische Wohl der Gemeinde einsetzte.
Zu einer Zeit, in der es besonders schwierig war, über religiöse Themen offen zu sprechen, wurde eines Tages Hace Yusuf Hamadāni hz. um einen religiösen Rat gefragt.
Er antwortete: „Was soll ich euch sagen? Haltet lediglich Zwiesprache mit Allah.“ Es war eine Aussage, die ein Gelehrter nicht so ohne weiteres von sich geben würde, weder damals noch heute.
Sie fragten darauf: „Unser Herr, sind wir denn dazu in der Lage?“
Er antwortete: „Falls euch dies nicht vergönnt sein sollte, dann haltet Zwiesprache mit denen, die mit Allah Zwiesprache halten.“ Diese Aussage von ihm wurde berühmt, sie wurde von den späteren Generationen aufgegriffen galt als ein Leitfaden.
Es mag einem befremdlich vorkommen, mit Allah Zwiesprache zu halten. Es handelt sich hier selbstverständlich nicht um das Gleiche, wie wenn zwei Personen, einander gegenüber sitzen und miteinander sprechen. Es bedeutet vielmehr, den Erhabenen Allah zu erkennen, der sich hinter den sichtbaren Dingen verbirgt.
Nehmen wir einmal an, du würdest einem Menschen begegnen; du solltest dir bewusst sein, dass in Wirklichkeit - obwohl allem Anschein nach dein Gesprächspartner ein Mensch ist – du dich in einer Art Zwiesprache mit deinem Erhabenen Herrn Allah befindest, denn Er ist es, der dich dieser Situation ausgesetzt hat. Es kann sich bei diesem Menschen, dem du begegnet bist, um einen frommen, religionsfremden oder gar einem sündigen Menschen handeln. All dies beachte nicht, denn für dich ist das einzig wichtige, dass du weißt, wofür du dich im Jenseits verantworten musst, nämlich für deine eigenen Taten, in diesem Fall also für dein Verhalten gegenüber diesem Menschen, und nicht für die Fehler dieses Menschen oder anderer.
Tatsächlich benötigt man ein fundiertes religiöses Wissen, ein Wissen über die Scheria also, denn wer über keine Kenntnisse der Scheria verfügt, wird nicht erkennen, dass jeder Mensch sich für seine eigenen Taten verantworten muss. Keiner ist für die Taten der Anderen verantwortlich. Nur weil dein Gegenüber ein Sünder ist hast du noch lange nicht das Recht, ihm gegenüber ungerecht zu sein. Solltest du ihm gegenüber ungerecht verfahren, dann wirst du dich im Jenseits vor dem göttlichen Gericht für deine Ungerechtigkeit verantworten müssen. Eine Rechtfertigung deinerseits mit den Worten wie: „O mein Herr! Er war doch ein Sünder! Was kann ich denn dafür, er war doch nicht im Recht?“ werden vor dem Schöpfer abgelehnt werden. Folglich sind es nur einsichtige Menschen, die Kenntnisse über die Scheria haben, die sich nicht in derartige Missgeschicke manövrieren.
Zunächst einmal sollte man sich die folgende Maxime der Scheria vor Augen halten: Jeder ist für seine eigne Tat verantwortlich. Und solltest du einwenden: „Aber wir leben doch als soziale Wesen inmitten einer Gemeinde.“, dann antworte ich: „Und wenn schon? Auch innerhalb der Gemeinde ist jeder Mensch ein eigenständiges Individuum, welches sein eigenes Leben innerhalb eben dieser Gemeinde lebt und insofern nur für seine eigenen Taten die Verantwortung trägt, nicht für die Taten der anderen!“
Der Gottesfreund Behlul Dana hz. soll ununterbrochen geweint haben. Und als die Leute nach der Ursache für sein Weinen fragten, antwortete dieser:
„Was soll nur aus den Menschen werden? Was soll nur aus diesem und jenem werden, wie wird es mir wohl im Jenseits ergehen? Die Leute verhalten sich so verantwortungslos…“
Eines Tages sahen die Leute, dass Behlul Dana hz. ununterbrochen lachen musste. Er befand sich in einem merkwürdigen Zustand, was die Leute dazu veranlasste nach der Ursache für sein Lachen zu fragen. Dieser antwortete:
„Der Erhabene Allah lehrte es mich!“
Sie fragten: „Was lehrte er dich?“
Er erwiderte: „Als ich an einer Metzgerei vorbeiging sah ich, dass jedes Schaf an seinen eigenen Fuß aufgehängt war. Da habe ich verstanden, dass sich jeder für seine eigenen Taten verantwortlich ist.“
Dass wir ein Leben in sozialer Pluralität führen, gibt uns die Gelegenheit für die Verrichtung vieler frommer Taten. Würden wir nicht innerhalb eine Gemeinde leben, dann würden sich auch die Möglichkeiten für unsere guten Taten verringern. Je länger wir uns also innerhalb eines sozialen Milieus aufhalten, desto mehr ergibt sich für uns die Möglichkeit, fromme Werke zu verrichten.
Du sollest versuchen Herr über deine Handlungen zu sein, dann solltest du versuchen, die muhasebe durchzuführen (also darüber nachsinnen, ob eine Handlung Sünde oder erlaubt ist), ebenso sollst du versuchen, die murakabe durchzuführen (also gewahr über deine Handlungen zu werden). Wie könntest du es schaffen, die muhasabe und die murakabe durchzuführen und die Unachtsamkeit zu meiden? Indem dir bewusst ist, wer dein Gegenüber (Gesprächspartner) ist.
Wenn du immer noch unter deinen Gesprächspartnern unterscheidest und deine Handlungen an deinem Gesprächspartner festmachst, dann bedeutet dies, dass du dich von der muhasebe distanziert hast. Wenn jemand etwas tut, was sich mit der Scheria widerspricht und vom Erhabenen Allah als verboten erklärt wurde, dann liegt für dich ein Grund vor, dich von diesen Taten zu distanzieren. Denn laut der Scheria werden Ungerechtigkeiten und Maßlosigkeiten verboten. Auch wenn die Gnadengaben, die dir der Erhabene Allah zur Verfügung gestellt hat, nicht sprechen und sich artikulieren können, so ist es dir trotzdem nicht gestattet, maßlos damit zu verfahren. Denn das religiöse Gebot lautet: „Du sollst nicht maßlos sein!“
Maßlosigkeit ist also haram. So wie man mit leblosen Gegenständen maßlos verfahren kann, ebenso kann man sich gegenüber Lebewesen maßlos verhalten. Was bedeutet es überhaupt, sich maßlos gegenüber Lebewesen zu verhalten? Es bedeutet, dass man das jeweilige Lebewesen über seine Fähigkeiten hinaus belastet und es über seinen Schöpfungszweck hinaus einsetzt. Was geschieht, wenn man ein Tier auf eine Weise behandelt, die der Weise Allah für verboten und für ungerecht erklärt hat? Es entsteht Unrecht, weil es ein Lebewesen ist. Wäre es etwas lebloses, dann würde man es als Maßlosigkeit bezeichnen. Oftmals ist es leider so, dass die Menschen nicht davor zurückscheuen, Tiere ungerecht zu behandeln und zu quälen. Sie sind vielen Menschen nicht wichtig, doch der Scheria sind auch die Tiere wichtig, daher ist auch ihnen gegenüber jegliche Ungerechtigkeit verboten.
Auch im Leben unseres Propheten a. s. kann man dazu Belege finden, ebenso im Leben der Prophetengefährten. Jedoch gilt an dieser Stelle hervorzuheben, dass ein Tier nicht mit einem Menschen gleichgestellt werden kann. Sie haben bestimmte Rechte und wurden dem Menschen anvertraut. Dieser Verantwortung soll der Mensch versuchen gerecht zu werden. So darf beispielsweise kein Wild gejagt werden darf, wenn kein Bedarf besteht. Dieses Gebot ist unter den Scheriagelehrten Konsens. Solange man einen Nutzen an dem Fleisch und dem Fell hat, darf man Jagen, nicht zum Spaß und Vergnügen.
In unserer Heimat ist der Tasawwuf als religiöses Verständnis verbreitet. Im Kern ist Tasawwuf zwar gleich, aber in der praktischen Ausübung liegen gewisse Unterschiede vor. Tasawwuf bedeutet nicht, seine Freizeit und sein soziales Leben nach der islamischen Mystik zu gestalten, sondern auch im Berufsleben die islamische Mystik zu integrieren.
Der Name unserer Religion ist der Islam, und Tasawwuf bedeutet, die subtilsten Angelegenheiten des Islams zu beachten und sie auf gottgefällige Weise zu praktizieren. Es heißt: Wenn du versuchst auf diese Weise dein Leben zu gestalten, dann gilt das auch für die Wahl deines Berufs. Du solltest zum Beispiel kein Metzger werden, denn im Laufe der Ausübung dieses Berufs verliert dein Herz zunehmend an Barmherzigkeit und Mitleid. Zugegeben, jeder Ort sollte einen Metzger haben, aber das musst nicht unbedingt du sein. Wenn du also dich darum bemühst, dein Herz mit Mitleid und Sensibilität zu verzieren, dann versuche Berufe wie die des Metzgers zu vermeiden.
Ebenso heißt es: Meide den Beruf eines Bademeisters in einem Hamam, der den Badegästen den Rücken und die Arme wäscht. Denn durch die ständige Beobachtung von entblößten Menschen verzerrt sich dein Feingefühl und Empfindsamkeit. Auch wenn es an jedem Ort einen Hamam geben sollte, und es dort folglich auch Bademeister geben muss, so meide du es, einer dieser Bademeister zu sein.
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