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07.10.2016

Annemarie Schimmel-Mystische Dimensionen/Teil 3/Die »Naqshbandi-Reaktion

Sirhindi fand sich in Übereinstimmung mit ‘Ala’uddaula Simnani, dem großen Kubrawi-Mystiker, der Ibn ‘Arabis Theorien kritisiert hatte. Als guter Psychologe erkannte er auch die Realität des Zustandes berauschter Liebe an, in der der entrückte Mystiker nur noch die göttliche Einheit sieht. Aber solange er den Worten des göttlichen Gesetzes gehorsam ist, kann man seinen Zustand als kufr-i tariqa, >Unglaube des Pfades<‚ beschreiben, aus dem er zur Nüchternheit zurückkehren kann, in der er sich wiederum der Subjektivität seines früheren Zustandes bewusst wird. Eine solche Neufassung von Theorien, die von den Sufis alter Zeiten ausgearbeitet worden waren, war vielleicht in einer Gesellschaft notwendig, in der die Dichter mystischer Neigung ständig von der Einheit aller Religionen sangen und sich ihres angeblichen Unglaubens rühmten. >Rausch< ist-und hier sind wiederum klassische Gedanken entwickelt die Station des Heiligen, Während sich der Prophet durch seine >Nüchternheit< auszeichnet, die es ihm erlaubt, nach dem Erlebnis der Einheit zurückzukehren, um überall in der Welt Gottes Wort zu predigen: Prophetentum ist der Weg nach unten, ist die Seite der Wirklichkeit, die der Schöpfung zugewandt ist.

Eine der erstaunlichsten Theorien Sirhindis ist in der Tat seine Prophetologie. Er sprach über die beiden Individuationen des Propheten Muhammad, die körperliche und die engelhaft geistige, auf welche die beiden m in Muhammads Namen hinweisen (mhmd). Im Laufe des ersten Jahrtausends sei das erste m verschwunden, um Raum für das alif, den Buchstaben der Göttlichkeit, zu machen, so daß jetzt die Manifestation von Almad (ahmd) besteht, die völlig geistig und nicht mehr auf die irdischen Bedürfnisse seiner Gemeinde bezogen ist. In einem komplizierten Prozeß muß das neue Jahrtausend die »Vollkommenheiten des Prophetentums<< wieder restaurieren. Es ist kein Zufall, das die Verwandlung von >Muhammad< zu >Ahmad< zu dem Namen Ahmad Sirhindis überleitet und so diskret auf seine geheime Rolle als >der gewöhnliche Gläubige< anspielt, der berufen ist, diese Vollkommenheit wiederherzustellen. Das passt auch gut zu den Theorien über den qayyûm, den höchsten Repräsentanten und Agenten Gottes (Ahmad schrieb in einem seiner Briefe: >Meine Hand ist ein Ersatz für Gottes Hand<). Durch den qayyûm wird die Ordnung der Welt bewahrt; er steht sogar noch höher als der traditionelle höchste mystische Führer, der qutb, und hält alles Geschaffene in Bewegung. Shah Waliullah, im 18.Jahrhundert, scheint ihn manchmal mit dem »Hauch des Erbarmers<< gleichzusetzen, manchmal auch mit dem »Siegel der göttlichen Namen« oder mit der Allseele. Der qayyüm ist von Gott erwählt, der ihm besondere Gnade erwiesen hat und, wenn wir den Naqshbandi-Quellen und vor allem der Raudat al-qayyûmiyya glauben, hat Ahmad Sirhindi behauptet, daß dieser höchste Rang in der Hierarchie der Wesen von ihm und dreien seiner Nachfolger eingenommen werde, beginnend mit seinem Sohn Muhammad Ma‘sum.



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