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22.09.2016
Teil 2-Farid du- Din Attar "Die Konferenz der Vögel" (Annemarie Schimmel)
ERSTES KAPITEL
Das Werk beginnt mit dem Lobe Gottes, wobei ein schöner Gleichklang sofort ins Auge fällt: «Lob (afrin) sei dem Schöpfer (afrin) der Seele!»
Wie im <Ilâhinâmâ> bietet ‘Attar auch hier eine farbige Schilderung der Naturschönheit und weist darauf hin, dass «nur der wahre Gottesmann Gott unter allen Gewändern erkennen kann»:
In jedem Atom findet sich ein anderes Schloß, aus jedem Atom findet man einen anderen Weg.
Der Mensch soll in Gottes Vollkommenheit zu Nichts werden; denn man muß in die Tiefen des Ozeans sinken, um die Perle zu finden.
Eine Aufzählung der Propheten von Adam bis Muhammad spricht von ihren Leiden (entsprechend dem Hadith: «Die am meisten heimgesuchten Menschen sind die Propheten. . .»), und dann wendet sich ‘Attar im Gebet an Gott. Er bittet um Sündenvergebung und um Licht in der Finsternis.
Um seine Bitte noch dramatischer zu gestalten, erzählt er eine Geschichte:
Jemand will einen bettelnden Strolch erschlagen, aber da seine Frau diesem ein Stück Brot gegeben hat, darf er ihn nicht töten; denn die Teilnahme am Brot eines anderen schafft Bruderschaft (ein Grundsatz arabischer und islamischer Gastfreundschaft).
‘Attar sagt nun, da er ja schon seit langem Gottes Brot gegessen habe, kann Er ihn nicht elend umkommen lassen.
Es folgt das Prophetenlob, in dem alle Bilder der mittelalterlichen Prophetenverehrung erscheinen:
Beide Welten haben ihren Namen von Muhammad (da sein Name den Buchstaben m zweimal enthält, und das Wort ‘âlam, «Welt», nur ein m hat). Vor allem betont der Dichter das Licht des Propheten, das als erstes geschaffen wurde und sich dann vor dem Schöpfer niederwarf und alle Bewegungen des Ritualgebetes vollzog. Diese urewige Bewegung des Lichtes wurde so zum Vorbild für das menschliche Gebet. Der Prophet ist zu allen Wesen gesandt; deshalb haben ihm auch Tiere gehuldigt, und die Kieselsteine in seiner Hand haben ihn als Gottgesandten anerkannt. ‘Attar schöpft alle Prophetenlegenden poetisch aus und bittet dann den Propheten um Fürbitte hier erscheint zu Anfang die Verbindung zwischen Ahmad (: Muhammad) und ahad, «Einer»...
Die Bitte um Hilfe gipfelt in einer kleinen Geschichte:
Ein Kindchen fiel der Mutter einst ins Wasser, und ihre Seele wurde ganz erregt.
Das Kind, erschrocken, schlug mit Hand und Füßen das Wasser trug es grad zum Mühlenbach.
Das Wasser flog, und jenes liebe Kind gelangte bis zum Wasserwirbel auch.
Zum Mühlwehr kam’s die Mutter, die das sah, sprang schnell ins Wasser und zog es heraus,
sie holte es, und sie ergriff es fest, hielt’s an die Brust und gab sogleich ihm Milch.
Du, liebevoller ja als hundert Mütter -gar schlimme Strömung hat der Wirbel hier. Fall’ in den Strudel der Verwirrung ich, so komm ich auch wohl vor des Sehnens Schleuse. Mein Kopf dreht sich wie jenes Kind im Wasser, vor Aufregung schlag ich mit Hand und Füßen! Du Liebevoller! Auf des Weges Kinder, ertrinkend, blick voll Güte einmal doch!
Erbarme dich des qualerfüllten Herzens, zieh aus dem Wasser uns aus Huld und Gnade! Gib Milch mir bitte aus der Gnade Busen, von deinem Gnadentisch halt’ mich nicht fern! . ..
Nun wird das Lob der vier rechtgeleiteten Kalifen gesungen: Abu Baler, Omar, Othman und Ali, und in einem langen Abschnitt tadelt ‘Attar die fanatische Haltung der Schiiten, die nur Ali als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten gelten lassen. Hat nicht der Prophet alle seine Gefährten gepriesen, und ist es daher nicht verkehrt, sie sündhafter Handlungen anzu/clagen? Um Alis Großmut zu zeigen, fügt ‘Attar eine Erzählung ein, derzufolge Ali selbst für seinen Mörder Gutes wünschte:
Als jener unglückselige dumme Mörder auf Ali plötzlich eingestochen hatte, da brachte man für Ali einen Trank.
«Wo ist mein Mörder?» fragte er sogleich. «Gebt ihm zuerst den Trank und dann erst mir -er wird mein Weggefährte sein allhier!»
Sie brachten ihm den Trank. Er rief: «Gewalt! Er will mit Gift mich töten alsobald!»
Doch Ali schwor: «Bei Gott, dem Schöpfer hoch! Hätt’ dieser Tor getrunken von dem Trank, so hätt’ ich ganz gewiß nicht ohne ihn den Fuß vor Gott gesetzt im Paradies!»
Wenn auch der schlechte Kerl ihn tötete, wollt’ Ali nicht ohn’ ihn zum Himmel gehen da er mit Milde schon den Feind umfaßt wie hätt’ er jemals einen Freund gehaßt?
Und da vom Feind er so Viel Kummer litt, wie wär’ sein Freigelass’ner da sein Feind?
Sag nicht, dal3 Ali unterdrückt gewesen, des Ruhms des Kalifats beraubt gewesen! Denn Ali ist gewißlich Gottes Löwe man kann nicht einen Löwen unterdrücken!
Weitere Legenden über Ali und über den ersten Gebetsrufer, den Äthiopier Bilal, folgen, und noch einmal bittet ‘Attar um Fürsprache und rühmt im Laufe der Verse auch Rabi‘a von Basra (gest. 801):
Sie war nicht eine Frau, nein, hundert Männer, von Fuß bis Scheitel die Essenz des Schmerzes!
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