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22.09.2016

Teil 1-Der Pfad-Annemari Schimmel

Stationen und Zustände

Die erste Station auf dem Pfade, oder richtiger sein Anfang, im tauba, >Reue<. Tauba bedeutet, sich von den Sünden abzuwenden und von allem Weltlichen abzukehren.
Wie der Dichter Sagt: Reue ist ein seltsames Reittier -vom niedersten Platze springt es in einem Moment in den Himmel (M VI 464).
Tauba kann in der Seele durch ein äußeres Ereignis erweckt werden sei es ein profanes Wort, das plötzlich einen religiösen Sinn auftut, ein Stück Papier, auf dem ein passender Satz geschrieben ist, eine Koran-Rezitation, ein Traum, eine Begegnung mit einer heiligmäßigen Person. Eine der zahlreichen Legenden über Ibrahim ibn Adhams Bekehrung wird besonders oft erzählt:
Eines Nachts hörte er ein seltsames Geräusch auf dem Dach seines Palastes in Balkh. Die Diener fanden einen Mann, der in Ibrahims Gegenwart behauptete, auf dem Dach sein verlorenes Kamel zu suchen. Als der Prinz ihn wegen seines absurden Unterfangens tadelte, antwortete der Mann, daß Ibrahims Versuch, inmitten all seines Luxus himmlischen Frieden und echtes religiöses Leben zu finden, ebenso absurd sei Wie die Suche nach einem Kamel auf einem Dach. Ibrahim bereute und gab all seinen Besitz auf (vgl. M VI 829 ff.)
Die „Welt wurde als gefährliche Schlinge auf dem Wege zu Gott angesehen, und vor allem zur Zeit der alten Asketen“ wurden harte, ja grobe Worte geäußert, um den Charakter dieses elenden Platzes zu beschreiben. Man verglich sie einer Latrine, da man sie nur in dringendem Notfall aufsuchen sollte oder einem Misthaufen:

Die Welt ist ein Misthaufen und ein Versammlungsplatz der Hunde; doch niedriger als ein Hund ist der Mensch, der sich nicht davon fernhält. Denn der Hund nimmt von ihr, was er braucht, und läuft weg, aber der Mensch, der sie liebt, trennt sich nicht von ihr.
Die meisten Sufis sprachen jedoch eher von der Vergänglichkeit der Welt als von ihrer Schlechtigkeit, denn sie war ja immerhin Von Gott geschaffen. Doch ist sie vergänglich, da nichts außer Gott Bestand hat. Warum sollte sich der Asket überhaupt um Sie kümmern, wo doch die Welt, verglichen mit Gottes Herrlichkeit, nicht mehr denn ein Mückenflügel ist.
Wenn der Adept diese Welt im Akt der Reue aufgibt, so erhebt sich die Frage, ob er sich seiner früheren Sünden erinnern solle oder nicht. Sahl at-Tustari verlangt, daß auch nach der Reue die Sünden nie vergessen werden dürfen; denn solches Erinnern ist ein Heilmittel gegen jede Möglichkeit geistigen Hochmutes.
Sein Zeitgenosse Junaid dagegen definierte wahre Reue als >>Vergessen der Sünden«, und sein Kollege Ruwaim sagte, taube: sei »Bereuen der Reue«, d.h. ein völliges Auslöschen des Gedankens an Sünde und Buße. Junaids Gedanken Werden von Hujwiri aufgenommen: >>Der Reuige ist einer, der Gott liebt, und wer Gott liebt, kontempliert Gott, und in der Kontemplation ist es falsch, der Sünden zu gedenken, denn die Erinnerung an die Sünde ist ein Schleier zwischen Gott und dem, der kontempliert<< . Da Hujwiri dazu neigt, alles Zu systematisieren, spricht er auch von tauba als Wendung von großen Sünden zum Gehorsam; inâba ist dann die Wendung Von kleineren Sünden zur Liebe, und tauba die Wende von sich
selbst zu Gott. Doch findet sich diese Dreiteilung meines Wissens sonst nirgends.
Die Sufis wußten, wie oft »Reue gebrochen« ward ein Ausdruck, der in der späteren persischen Poesie gern mit dem Brechen der Weinflasche verbunden wird, die die Mystiker allzuleicht wieder in Sünde verstrickte und dann erneute Reue erforderte. Doch die mystischen Führer waren sicher, daß das Tor der Reue offen bleibt, es ist ein Tor im Westen bis zum Tag, wenn einst im West die Sonne aufgeht, d.h. bis zum Gerichtstag.
So sagt Rumi, auf dessen Mausoleum in Konya die berühmten Zeilen geschrieben stehen:
Komm zurück, komm zurück, selbst wenn du deine Reue tausendmal gebrochen hast. . .
Auf den ersten Stufen des Pfades muß der Anfänger sich in Abstinenz und Enthaltsamkeit (wara), die von Gottesfurcht erzeugt wird, und in Entsagung (zuhd) üben. Dieses letzte Wort bedeutet, nach der üblichen Dreiteilung, daß man aufgibt, was rituell und religiös erlaubt ist, daß man diese Welt aufgibt, und daß man schließlich alles aufgibt, was das Herz von Gott ablenkt, selbst den Gedanken an die Enthaltsamkeit. Das schließt natürlich die Aufgabe der Hoffnung auf Himmelslohn und der Höllenfurcht ein.



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